1731947430 So oft müssen Gefangene in Deutschland in den „Bunker“ https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2024/11/besonders-gesicherte-haftraume/

In dem Gefängnis in Augsburg-Gablingen sollen Gefangene in „besonders gesicherten Hafträumen“ misshandelt worden sein. Nur: Wie oft landen Gefangene eigentlich dort? Wir veröffentlichen erstmals Zahlen aus ganz Deutschland.

Sie werden „Bunker“ genannt. Denn so ähnlich kann man sich sogenannte besonders gesicherte Hafträume (kurz: bgH) vorstellen: kein Fenster, kein Tisch, kein Stuhl. Da ist nur eine Matratze, ein Metallauslass im Boden als Toilette und manchmal eine Kamera in der Ecke. Gefangene dürfen nur Papierkleidung tragen.

Gemeinsam mit dem Deutschlandfunk Kultur haben wir erstmals zusammengetragen, wie oft Inhaftierte in Deutschland zwischen 2019 und 2023 in diese „Bunker” gekommen sind. Bei den Zahlen, die wir veröffentlichen, stechen ein paar Städte hervor: Bremen, Würzburg und Augsburg-Gablingen, dessen Justizvollzugsanstalt (JVA) Folter vorgeworfen wird. Der Bayerische Rundfunk hatte kürzlich berichtet, dass Menschen dort nackt eingesperrt worden seien, ohne Matratze und Decke. 

In besonders gesicherte Hafträume kommen Insass*innen, wenn sie sich selbst oder andere gefährden. Die Gefangenen sind dann zum Beispiel suizidgefährdet oder gewalttätig. Eigentlich sollte das die Ausnahme sein, denn es ist eine der härtesten Maßnahmen im Justizvollzug. Doch in deutschen Haftanstalten scheint es Alltag zu sein. Mindestens 7.275 Mal mussten Gefangene im vergangenen Jahr in ganz Deutschland in besonders gesicherte Hafträume.

Ausreißer Bremen

Über Presse- und Informationsfreiheitsanfragen hat FragDenStaat gemeinsam mit dem Deutschlandfunk Kultur die Statistik aus allen Ländern zusammengetragen. Die tatsächlichen Zahlen dürften aber deutlich höher liegen. Denn auf Anfrage gaben Länder wie Hamburg oder Sachsen-Anhalt bekannt, dass ihre Statistik fehlerhaft ist oder gar keine geführt wird.

Im Deutschland-Vergleich ist Bremen ein Ausreißer nach oben. Dort stieg die Zahl der Unterbringungen in den „besonders gesicherten Hafträumen“ besonders stark an. 2019 kam dort 54 Mal ein*e Gefangene*r in diese Zellen. 2023 passierte das 362 Mal. Damit liegt Bremen weit über dem Bundesdurchschnitt.

Für den rapiden Anstieg führt der Bremer Justizsenat eine Reihe von Gründen auf. Die EnchroChat-Prozesse füllten die Untersuchungshaft in Bremen, Gefangene würden mehr psychoaktive Drogen nehmen und psychisch auffällige Insass*innen kämen besonders häufig wegen Selbst- und Fremdgefährdung in besonders gesicherte Hafträume. Auch Menschen auf Drogenentzug werden demnach in die Spezialzellen gesperrt.

Bremen ist ein kleines Bundesland mit nur einem Gefängnis. Im Jahr 2023 saßen dort durchschnittlich pro Tag 637 Menschen. „Mittlerweile liegt die Belegung in unserer JVA auf dauerhaftem Höchstniveau, insofern ist ein proportionaler Anstieg der besonderen Sicherungsmaßnahmen statistisch erwartbar“, erklärt der Justizsenat auf Nachfrage.

Im Gegensatz zu Bremen sticht Sachsen-Anhalt zunächst durch besonders wenige Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen heraus. Auf Anfrage beim Justizministerium ergab sich jedoch, dass die Statistik „ggf. nicht valide bzw. nicht vollständig“ ist. Darum habe man eine Nachprüfung eingeleitet. „Dies wird voraussichtlich bis Anfang kommenden Jahres dauern“, teilt das Justizministerium Sachsen-Anhalts mit.

Ähnlich ist es in Hamburg. Dort erfasst die Justizbehörde keine Daten zu „besonderen Sicherungsmaßnahmen“. Der Zustand sei vorübergehend, sagt die Behörde auf Nachfrage. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Datenerfassung und -auswertung so zu gestalten, dass eine Auswertung der Daten zeitnah möglich ist“, schreibt die Hamburger Justizbehörde.

In einem Gefängnis kommen und gehen Insass*innen fast täglich. Darum ist im Diagramm die durchschnittliche Belegung pro Jahr abgebildet. Darunter sind auch Gefangene, die im gleichen Jahr mehrfach isoliert wurden. Wie lange eine Isolierung dauert, erfasst die Statistik allerdings nicht.

Wenn eine Isolierung mehr als zwei oder drei Tage dauert, müssen die Gefängnisse das in einigen Ländern ihren Justizministerien melden. Demnach musste in Sachsen mehr als jeder fünfte Isolierte länger als zwei Tage in die Spezialzelle. In Niedersachsen wurde rund jeder sechste Isolierte länger als drei Tage eingesperrt.

Im Gefängnis Augsburg-Gablingen wurden im vergangenen Jahr 125 mal Gefangene in besonders gesicherten Hafträumen untergebracht. Das sind viele bei einer durchschnittlichen Belegung von 520 Insassen im Jahr. Ex-Insassen berichteten, dass sie beim Säubern der „Bunker“ Blut aufwischten. Noch mehr Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen zählt das Gefängnis in Würzburg: 172 mal im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 354 Gefangenen. 

Anfragen zu den besonders gesicherten Hafträumen

Dokumente der Justizvollzugsstatistik der Länder

html Sabrina Winter, Timo Stukenberg, Stefan Wehrmeyer https://media.frag-den-staat.de/files/media/thumbnails/11/74/1174ccd8-6f61-410e-aaf9-be0fa43eeeb4/haftraume.jpg__768x0_q85_subsampling-2.jpg 1731574800 Alle Dokumente zu Nord Stream 2 https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2024/11/alle-dokumente-zu-nord-stream-2/

Wir haben Dokumente zum Bau der Gaspipeline gesammelt und veröffentlichen diese vollständig.

Spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 nicht nur ein Politikum, sondern auf dem Prüfstand. Die Pipeline ist ein Sinnbild für den langen putin-freundlichen Kurs deutscher Politiker*innen. Umso wichtiger ist es, diese durch Recherchen aufzuarbeiten. 

In dieser Datenbank haben wir alle Dokumente gesammelt, die wir zum Thema Nord Stream 2 über das Informationsfreiheitsgesetz befreien konnten. 

Sie umfassen unter anderem: 

Teile dieser Dokumentensammlung wurden bereits von anderen Journalist*innen befreit und analysiert, allerdings nicht veröffentlicht. Wir finden: Es ist wichtig, all diese Dokumente online zugänglich zu machen. Denn in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, wie wichtig die Veröffentlichung von Dokumenten für andere Journalist*innen und deren Recherchen ist. So können komplexe Missstände gemeinsam aufgedeckt werden. 

Wir wollen diese Datenbank kontinuierlich erweitern. Schreibt uns, wenn ihr Dokumente zur Gaspipeline Nord Stream 2 habt, die wir veröffentlichen sollen. 

→ zu unseren Recherchen zur Klimastiftung MV 
zu den Anfragen

html Vera Deleja-Hotko, Arne Semsrott https://media.frag-den-staat.de/files/media/thumbnails/a7/0b/a70b2699-06a0-4f56-b4fd-627a869ded8f/pipeline_2.png__768x0_subsampling-2.png 1731330646 Klimafinanzierung schöngerechnet https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2024/11/klimafinanzierung-schongerechnet/

Mehrere Milliarden Euro gibt Deutschland jährlich für die sogenannte Klimafinanzierung aus. Aber wohin fließt das Geld? Und ist es wirklich so viel?

Fast zehn Milliarden Euro hat Deutschland im Jahr 2023 als Klimafinanzierung für Länder des Globalen Südens bereitgestellt. Zum Globalen Süden zählen Länder, die durch eine globalisierte Welt politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich benachteiligt sind. „Deutschland leistet erneut einen fairen Anteil“, prahlte die Bundesregierung im September 2024. Im Vorjahr sprach man sogar von einem „Rekordniveau“. Ziele seien nicht nur erreicht, sondern übertroffen worden. Aber was steckt hinter diesen Milliarden? In welche Projekte floss das Geld? Und wurde es tatsächlich ausgegeben?

Das alles sind Fragen, die wir uns in den letzten Monaten gestellt haben. Denn auf der diesjährigen Weltklimakonferenz (COP29), die am Montag in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku beginnt, wird entschieden, wie es mit der internationalen Klimafinanzierung weitergeht. Also haben wir recherchiert, Daten gesammelt und analysiert.

Die Datenlage ist unübersichtlich und intransparent. Die Industriestaaten reizen die vage Definition von Klimafinanzierung aus und rechnen sich Projekte an, die nur entfernt mit Klimaschutz oder Klimaanpassung zu tun haben. Und ein Großteil der Summe, die als Klimafinanzierung berichtet wird, sind Kredite, die in Ländern des Globalen Südens zu mehr Schulden führen.

Kredite statt Zuschüsse

Im Jahr 1992 wurde die UN-Klimarahmenkonvention unterschrieben. Das Ziel: Die globale Erwärmung verlangsamen. Unter anderem verpflichteten sich die Industriestaaten dazu, Länder des Globalen Südens finanziell für Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung zu unterstützen. Dies wird als Klimafinanzierung bezeichnet. Denn die Klimakrise trifft die Menschen im Globalen Süden, obwohl sie weniger dazu beitragen, weitaus stärker als die Industriestaaten des Globalen Nordens.

100 Milliarden US-Dollar jährlich wollten die Industriestaaten bis 2020 zur Verfügung stellen. Dazu haben sie sich auf mehreren Weltklimakonferenzen in den letzten 15 Jahren bekannt. Erreicht wurde dieses Ziel jedoch erstmals im Jahr 2022 – in diesem Jahr feierte auch Deutschland ein „Rekordniveau“. Was bei dem Jubel ausgespart wurde: Das meiste Geld wird in Form von Krediten zur Verfügung gestellt. 

Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Entwicklungsorganisation Oxfam. Die Analyst*innen sagen, dass zwei Drittel der 100 Milliarden US-Dollar in Form von Krediten vergeben wurden. Das heißt, die tatsächlichen Ausgaben der Industriestaaten sind gering. Denn die Kredite müssen Empfängerländer wieder an die Industriestaaten zurückzahlen. 

Jan Kowalzig von Oxfam Deutschland hat federführend an der Analyse gearbeitet. Er findet Kredite nicht per se schlecht. Sie können sinnvoll sein, wenn damit Projekte finanziert werden, die verlässlich Einkünfte erzielen. Bei der Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel brauche es allerdings keine Kredite, sondern Zuschüsse. „Es geht darum, Menschen vor künftigen Umweltkatastrophen zu schützen. Dabei kann auf Wirtschaftlichkeit nicht spekuliert werden“, erklärt Kowalzig. „Hier mit Krediten zu arbeiten bedeutet, die Kosten letztlich auf die Menschen in den gefährdeten Ländern abzuwälzen.“

Wir haben uns die Daten von Deutschland für das Jahr 2023 genauer angesehen.

Aber egal ob als Kredit oder Zuschuss, in welche Projekte fließen die zehn Milliarden Euro?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und zeigt, wie intransparent das System Klimafinanzierung ist. Ein Grund dafür ist, dass es keinen Datensatz gibt, der aktuell ist und detaillierte Projektbeschreibungen enthält.

Es gibt mehrere Datenbanken, die  Klimafinanzierung abbilden. Als erstes natürlich jene von den Vereinten Nationen, genauer der UN Climate Change Conference (UNFCCC). Das Problem mit dieser Datenbank ist, dass die Geberländer nur selten ihre Daten melden und sie daher nicht aktuell sind. Die Zahlen reichen nur bis zum Jahr 2020. Die Europäische Union (EU) hat eine eigene Klimafinanzierungs-Datenbank. Mitgliedstaaten, wie Deutschland, berichten dorthin,  annähernd alles, was sie auch an die UN berichten würden – allerdings früher. Diese Daten gehen bis zum Jahr 2023. Die Daten, die wir für 2023 analysiert haben, stammen aus der Datenbank der EU.

Diese beiden Datenbanken sind jedoch fast nutzlos, um nachzuvollziehen, in welche Projekte die Klimafinanzierung floss. Denn sie enthalten keine ausführlichen Projektbeschreibungen. Deshalb verwenden viele eine weitere Datenbank, jene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). So stützt auch Oxfam seine Analyse zum Kreditanteil an der Gesamtsumme auf die Daten der OECD.

Bei den Daten der OECD handelt es sich allerdings nicht um die exakten Zahlen zur Klimafinanzierung, die über die UN-Klimarahmenkonvention völkerrechtlich verpflichtend ist, sondern um sogenannte „klimarelevante Entwicklungshilfe“. Es können daher keine rechnerischen Schlüsse zur Gesamtsumme gezogen werden, da die Datenbanken nicht identisch sind und Projekte zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingetragen werden

Dennoch sind die Projekte, die Deutschland an die OECD berichtet, annähernd deckungsgleich mit jenen, die als Klimafinanzierung an die UNFCCC gehen. Das bestätigte uns auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): „Grundsätzlich werden alle Projekte, die mit einer Klimakennung an die OECD gemeldet werden, an die UNFCCC als Teil der Klimafinanzierung übermittelt.“

Die Datenbanken der OECD und des UNFCCC sind vergleichbar, da sie das gleiche Kategoriensystem verwenden. 

Nicht nur die Berechnungsweise wird kritisiert. Bei der Vergabe der Rio-Marker werden oft Projekte zur Klimafinanzierung angerechnet, die nur zum Bruchteil zum Klimaschutz oder zur Anpassung an die Klimakrise beitragen. Das hat auch damit zu tun, dass der Begriff Klimafinanzierung nicht klar in der UN-Klimarahmenkonvention definiert wurde. Die Folge davon ist, dass die Industriestaaten dieses breite Spektrum ausreizen.

Hier ein Beispiel aus Deutschland, um das Problem mit den Datenbanken, der Kategorisierung und der Definition zu verdeutlichen:

In den OECD-Daten aus dem Jahr 2022 finden wir ein Projekt, das Deutschland in Syrien finanziert hat. Das BMZ hat Geld vergeben, um „traditionelle Landwirtschaft“ in Nordost-Syrien zu stärken. So sollen sich die Bedingungen für „die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen“ verbessern. Das Projekt hat Klimaanpassung als Nebenziel. Das heißt, 50 Prozent der Projektkosten könnten als Klimafinanzierung angerechnet werden.

Um zu überprüfen, ob das tatsächlich der Fall war, reicht eine Nennung in der OECD-Datenbank allerdings nicht aus. Die Daten der UNFCCC, die als offizielle Klimafinanzierung gelten, reichen bis 2020. Das Projekt für freiwillige Rückkehrer ist allerdings von 2022. Also schauen wir in einer dritten Datenbank nach. Was Deutschland an die EU meldet, meldet es fast genau so an das UNFCCC. Die Projektbeschreibungen der EU-Datenbank sind allerdings genauso spärlich wie bei jener UNFCCC. 

In der EU-Datenbank finden wir Projekte, die Deutschland für das Jahr 2022 in Syrien anführt. Eines dieser Projekte wird beschrieben als „technische Hilfe in der Landwirtschaft“ für Binnenflüchtlinge – allerdings steht dort nichts von freiwilligen Rückkehrern. Also gehen wir zu einer vierten Datenbank, jener des BMZ. Denn dieses Ministerium hat das Projekt finanziert.

Wir finden wieder ein Projekt, das in Syrien 2022 finanziert wurde und, das wir in der OECD-Datenbank gefunden haben. Könnte passen. Aber: Es wurde zwar kategorisiert im Sektor „Landwirtschaft“, enthält allerdings keine Projektbeschreibung, sondern nur den Satz: „Diese Information ist für diese Maßnahme nicht verfügbar.“ Also haben wir beim BMZ nachgefragt. Das Ministerium antwortete, dass das Projekt „als Teil der deutschen Klimafinanzierung gemeldet wurde, da Klimaanpassung ein wichtiges Nebenziel ist.“

Dieses Beispiel zeigt, wie intransparent und schwer nachvollziehbar die Daten sind. Und es zeigt, wie breit der Begriff Klimafinanzierung ausgelegt wird. Denn das genannte Projekt hat ebenso eine migrationspolitische Komponente, die sich mit der zunehmend restriktiveren Abschiebepolitik deckt. 

„Doppelte politische Dividende“

Nicht nur was Klimafinanzierung ist, wurde vage definiert, auch woher das Geld kommen soll. In der UN-Klimarahmenkonvention steht zwar, dass die Finanzierung „neu und zusätzlich“ sein soll, was das genau bedeutet, bleibt unklar. Im Jahr 2023 stammten in Deutschland 78 Prozent der Klimafinanzierung aus dem Haushalt des BMZ. Fast die Hälfte des Gesamtbudgets dieses Ministeriums fließt in Klimaprojekte. Die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Ina Sieberichs und Ann-Kristin Becker von der Universität zu Köln kritisieren dies: „Klimafinanzierung ist wichtig, nur sollte sie nicht zu Lasten des Budgets für wirtschaftliche Zusammenarbeit gehen.“

Dadurch würde das Geld an anderen Ecken fehlen, wie beispielsweise bei Projekten, die den Gesundheitsbereich verbessern wollen. „Indem Deutschland ‚stolz‘ verkündet, dass sowohl die Ziele der Klimafinanzierung als auch die angestrebte Quote der Entwicklungshilfe erreicht wurden, sieht es so aus, als würde sich Deutschland eine doppelte politische Dividende zuschreiben,“ so Sieberichs und Becker.

In den nächsten Tagen wird auf der Weltklimakonferenz entschieden, wie es mit der Klimafinanzierung weitergeht. Die UN-Umweltbehörde (UNEP) sagt, dass 100 Milliarden US-Dollar jährlich nicht ausreichen. Alleine für die Anpassung an den Klimawandel brauche es jährlich 160 bis 340 Milliarden US-Dollar bis 2030. Und die Anpassung an den Klimawandel ist nur ein Teil der Klimafinanzierung. Das Geld, das für die Emissionsreduktion für den Klimaschutz gebraucht wird, ist dabei noch nicht enthalten.

html Vera Deleja-Hotko, Stefan Wehrmeyer https://media.frag-den-staat.de/files/media/thumbnails/48/83/488359e5-7819-4d8a-b747-d648e90c568e/7.png__768x0_subsampling-2.png 1729578316 Noch mehr Unternehmen in Steueroase Sachsenwald https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2024/10/noch-mehr-unternehmen-in-steueroase-sachsenwald/

Millionenschwere Unternehmen betreiben Briefkästen an einer einsamen Waldhütte. Ihre niedrigen Steuern dort zahlen sie nicht in öffentliche Kassen, sondern an Waldbesitzer Bismarck. Jetzt zeigt sich: Es sind noch mehr Firmen beteiligt als bisher bekannt. Das Firmengeflecht führt zu einem renommierten Projektpartner Hamburgs.

Eine einsame Hütte im Wald als Unternehmenssitz für zahlreiche Firmen; eine verlassene Bürokulisse, in der offenbar niemand regelmäßig arbeitet, aber auf dem Papier Millionenumsätze gemacht werden; und ein Graf, der im Jahr 2024 durch ein juristisches Relikt aus der Kaiserzeit seine eigenen Steuern kassiert. In einer gemeinsamen Recherche mit dem ZDF Magazin Royale haben wir jüngst über die absurdeste Steueroase Deutschlands berichtet: Graf Gregor von Bismarcks Hütte im Wald.

Nun zeigt sich: In der schlichten Holzhütte fernab der Zivilisation haben noch mehr Firmen ihren offiziellen Geschäftssitz als bisher bekannt. Das Firmennetzwerk führt auch zu einem Projektpartner der Stadt Hamburg – der von der Bundesregierung mit Millionen gefördert wird.

Weitere Firmen in Bismarcks Steueroase

Mindestens 21 Unternehmen teilen sich die alte Jagdhütte mit der Adresse „Stangenteich 2” mitten im schleswig-holsteinischen Sachsenwald, darunter zahlreiche Tochterfirmen der beiden millionenschweren Hamburger Unternehmen Aves One und Luxcara. Das haben wir im Oktober 2024 berichtet. Tatsächlich sind es noch mindestens zwei weitere Firmen, die sich in der Hütte von Waldbesitzer Graf Gregor von Bismarck ein Büro teilen. Auch die „Lx Clean Energy GmbH” und die „Lx Green Energy GmbH” haben am Stangenteich 2 ihren Firmensitz. Beide gehören zum Firmennetzwerk von Luxcara. Damit sind es insgesamt fünf Unternehmen, die der Hamburger Energieinvestor in der bismarckschen Waldhütte angesiedelt hat. Ob darüber hinaus noch weitere Tochterfirmen in der Hütte im Wald sitzen, beantwortete Luxcara auf Nachfrage nicht. 

Die einsame Hütte im Wald wird trotz der Fülle an dort gemeldeten Firmen kaum von Menschen aufgesucht. Das haben unsere Recherchen mit dem ZDF Magazin Royale ergeben. Mit einer Wildkamera konnten wir über einen Zeitraum von zwei Monaten dokumentieren, dass sich nur äußerst selten Menschen in Richtung der Hütte bewegten. In den meisten Fällen schienen es Tourist*innen oder Freizeit-Sportler*innen zu sein. Briefe, die wir an die Firmenadressen im Wald verschickt hatten – und die mit einem Tracker präpariert waren – landeten nicht in der Hütte, sondern wurden über ein Büro von Waldbesitzer Gregor von Bismarck an die Firmensitze der Mutterunternehmen in Hamburg weitergeleitet.

Regelmäßiger Arbeitsort im Wald?

Sowohl Gregor von Bismarck als auch alle in der Hütte ansässigen Firmen erklärten, die Waldhütte werde regelmäßig als Büro genutzt und man betreibe dort keine Briefkastenfirmen, um von den niedrigen Gewerbesteuern im Wald zu profitieren. Eine Unternehmenssprecherin von Luxcara schrieb uns, mindestens die Geschäftsführung der jeweiligen Unternehmen sei „zumeist mindestens einmal im Monat” zum Arbeiten in der Hütte. Nach unserer Berichterstattung sagte Luxcara gegenüber mehreren Medien, die Hütte im Wald werde von der Geschäftsführung mindestens einmal, eher zweimal im Monat zum Arbeiten genutzt.

Alleinige Geschäftsführerin aller fünf Luxcara-Tochterfirmen mit Sitz in der Waldhütte war bis Februar 2024 Alexandra Gräfin von Bernstorff. Gräfin von Bernstorff ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin von Luxcara. Und sie vertritt die Unternehmensgruppe prominent nach außen. Jüngst stieg Luxcara als Projektpartner der Hamburger Energiewerke bei einem geplanten Wasserstoffkraftwerk in Hamburg ein. Fotos vom Pressetermin zum symbolischen Startsignal des Baus zeigen Alexandra von Bernstorff neben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck – und mit einem Fördermittelbescheid des Bundes über mehr als 150 Millionen Euro.

Wir haben Luxcara um eine Bestätigung gebeten, dass Gräfin von Bernstorff in ihrer Rolle als Geschäftsführerin der fünf im Sachsenwald gemeldeten Firmen tatsächlich über Jahre hinweg ein- bis zweimal pro Monat kilometerweit in den Wald gefahren ist, um dort in der Hütte zu arbeiten. Die Tochterunternehmen von Luxcara sitzen teilweise bereits seit 2019 in Bismarcks Waldhütte. Eine Antwort darauf erhielten wir nicht.

Fragen wirft auch der Geschäftszweck der nun bekannt gewordenen beiden Luxcara-Unternehmen in der Waldhütte auf. Bisher hatte die Führung aller dort ansässigen Firmen argumentiert, dass es sich um reine Verwaltungsgesellschaften handle, die daher ohne Personal auskommen würden. Sowohl Lx Clean Energy als auch Lx Green Energy haben jedoch nur eine einzige Geschäftstätigkeit im Handelsregister eingetragen: Die Beratung von Unternehmen bei Infrastrukturmaßnahmen zu erneuerbaren Energien. Unsere Nachfrage, wie diese Tätigkeit angesichts der äußerst sporadischen Nutzung der Hütte als Betriebsstätte realisiert wird, beantwortete Luxcara nicht.

Politiker erstatten Anzeige wegen Steuerhinzerziehung

Nach der Veröffentlichung unserer Recherche haben zwei Politiker der Linken Strafanzeige gegen Gregor von Bismarck und alle in der Hütte im Wald gemeldeten Firmen gestellt. Es bestehe der Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung. „Luxcara bildet mit den Hamburger Energiewerken ein Konsortium – und wird jetzt bei der Steuerflucht im Sachsenwald erwischt”, erklärt der Hamburger Abgeordnete Stephan Jersch.

Die Hamburger CDU hat zu der mutmaßlichen Steuerflucht in den Wald bereits eine kleine Anfrage eingereicht und setzt sich äußerst kritisch mit der Rolle von Luxcara auseinander. Sie weist darauf hin, dass der Hamburger Senat vor der Zusammenarbeit mit Luxcara das Unternehmen einer Due Diligence Prüfung unterzogen hat; einer besonders sorgfältigen Prüfung, die mögliche rechtliche Risiken und problematische Beteiligungen von großen Firmengeflechten aufdecken soll. Ob dabei die Fülle an Tochterfirmen in einer Hütte mitten im Wald aufgefallen ist, aber nicht weiter beachtet wurde, muss der Hamburger Senat nun beantworten.

Auch weitere Stellen beschäftigen sich aktuell mit den Ergebnissen unserer Recherche. In Schleswig-Holstein fordern Parteipolitiker aus der Regierung wie aus der Opposition einhellig, dass die Rechtsgrundlage für das absurde Steuerkonstrukt im Bismarkschen Sachsenwald geprüft und bestenfalls abgeschafft wird. Dass ein Wald seine eigene – sehr niedrige – Gewerbesteuer erheben kann, geht auf einen rechtlichen Sonderstatus zurück, der in der Kaiserzeit wurzelt. Zudem prüft der zuständige Landkreis aktuell, ob Gregor von Bismarck gegen das Baurecht verstoßen hat, als er die Jagdhütte am Stangenteich als Büro umdeklarierte und Büroplätze an zahlreiche Unternehmen vermietete.

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht entscheidet in Kürze hoffentlich über einen Eilantrag von uns. Denn wie viel Gewerbesteuer seit Bestehen der Steueroase im Sachsenwald an Waldbesitzer Gregor von Bismarck gezahlt wurde, ist unbekannt. Weil Bismarck uns dazu die Auskunft verweigert, haben wir ihn nach dem Presserecht verklagt.

→  Zu unserer bisherigen Berichterstattung

→  Zur Berichterstattung des ZDF Magazin Royale

→  Zu unserer Klage gegen Gregor von Bismarck

→  Zu unserer Korrespondenz mit Behörden, Firmen und Gregor von Bismarck

html Aiko Kempen https://media.frag-den-staat.de/files/media/thumbnails/93/3b/933b8e32-a59c-4a07-9ae5-2ea046b52293/sachsenwald_update.jpg__768x0_q85_subsampling-2.jpg 1729494000 Seit sechs Jahren in der Isolationszelle https://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2024/10/seit-sechs-jahren-in-der-isolationszelle/

Nach unserer Klage hat der Gesundheitssenat bestätigt, dass ein Patient seit sechs Jahren in Isolation leben muss. Fünf weitere Personen werden seit mehr als einem Monat isoliert. Mehr als 15 Tage Isolationshaft gilt als unmenschliche Behandlung.

Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Berlin hält eine Person seit mehr als sechs Jahren in einer Isolationszelle fest. Das hat uns der Berliner Gesundheitssenat erstmals bestätigt. Zunächst weigerte sich die Behörde, unsere Presseanfragen vollumfänglich zu beantworten. Der Gesundheitssenat schrieb unter anderem, dass die Unterbringungsdauer von Patient*innen nicht erfasst werde. 

Nach unserem Eilantrag an das Berliner Verwaltungsgericht fand der Gesundheitssenat dann doch die Antworten zur Unterbringungsdauer von Patient*innen in der Isolationshaft: Neben dem Patienten, der seit sechs Jahren isoliert leben muss, gibt es derzeit fünf weitere Patient*innen im Maßregelvollzug, die seit mehr als einem Monat in eine Isolationszelle gesperrt sind.

In den vergangenen Monaten haben wir gemeinsam mit der taz – die tageszeitung wiederholt über die katastrophalen Zustände im Berliner Maßregelvollzug berichtet. In dem Berliner  Krankenhaus des Maßregelvollzugs gibt es fundamentale Missstände – egal ob man auf den baulichen Zustand, die Personalnot oder die Hygiene schaut. Das belegen zahlreiche Dokumente, die FragDenStaat über das Informationsfreiheitsgesetz befreit hat. 

Unhaltbare Zustände

Als Grund für die lange Isolationshaft gibt der Gesundheitssenat an, dass es sich um Patient*innen mit schweren psychotischen Erkrankungen handle, die Medikamente ablehnen. Oft verbessere sich der Zustand erst nach einer unfreiwilligen medikamentösen Behandlung. Dann sei die Eigen- und Fremdgefährdung gering genug, um die Patient*innen aus der Isolationszelle zu entlassen.

Es ist es zwar üblich, Patient*innen zu isolieren, wenn sie sich selbst oder andere gefährden. Allerdings sollte die Isolation so kurz wie möglich sein. Laut den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen der Vereinten Nationen (UN) sollen Menschen nicht mehr als 15 aufeinanderfolgende Tage isoliert werden.

Dass Menschen im Berliner Maßregelvollzug weitaus mehr als 15 Tage in Isolationszellen verbringen müssen, ist dem Gesundheitssenat seit Jahren bekannt. Schon 2021 kritisierte die Besuchskommission für Berliner Psychiatrien die lange Isolation. In ihrem Bericht erwähnt sie zwei Patient*innen, die damals mehrere Monate isoliert waren. Dieser Bericht sei „detailliert erörtert“ worden, antwortet der Gesundheitssenat, nachdem wir ihn verklagt haben. Man sei zwar permanent bemüht, isolierte Patient*innen in die Gemeinschaft zu integrieren. Bei den beiden Patient*innen sei das aber nicht möglich gewesen, weil sie so schwer krank gewesen seien.

Nach unserer Berichterstattung wandte sich die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) mit einem offenen Brief an den Bürgermeister von Berlin Kai Wegner (CDU). Darin fordert die DGSP, die „rechtswidrigen“ und „medizinisch-ethisch unhaltbaren Zustände“ im Maßregelvollzug unverzüglich zu beenden. 

→ Anfragen zum Berliner Maßregelvollzug

Dokumente zur Klage

html Sabrina Winter https://media.frag-den-staat.de/files/media/thumbnails/88/70/88701828-3548-460b-8c86-0a7d6a146b1c/isolationshaft.png__768x0_subsampling-2.png